Wie Sprache unsere Wirklichkeit gestaltet

Gerade lese ich wieder einmal ein Buch, das mich nicht mehr loslässt: „Das Alphabet des Denkens – wie Sprache unsere Gedanken und Gefühle prägt“. Die Autorinnen zeigen auf unterhaltsame und zugleich tiefgründige Weise, wie sehr Sprache unser Erleben beeinflusst. Sie beschreiben, wie Klang, bildhafte Assoziationen und emotionale Aufladung durch Worte unser Denken und Handeln steuern – oft unbemerkt, aber sehr wirkungsvoll.

Wussten Sie zum Beispiel, dass Wörter mit „i“ – wie Mini, Lilli oder Lidl – mit kleinen Dingen assoziiert werden, während „o“ oder „a“ – wie Oma, Großmarkt oder Aldi – Größe und Gewicht suggerieren? Oder dass das „b“ eine entspannende Wirkung hat (denken Sie an Baden, Bummeln, Bequem) und Wörter, die auf „-y“ enden (Sunny, Lucky) oft als besonders sympathisch empfunden werden?

Diese Erkenntnisse sind keine Spielerei. Sie betreffen die Frage, wie wir Wirklichkeit benennen – und damit erzeugen.

In einem spannenden Experiment baten die Psychologen Thibodeau und Boroditsky Versuchspersonen, Maßnahmen gegen steigende Kriminalität zu entwickeln. In einer Version war von einer „Bestie“ die Rede, die die Stadt heimsucht. In der anderen von einem „Virus“. Obwohl der Bericht ansonsten identisch war, schlugen die Teilnehmer der „Bestien-Gruppe“ überwiegend harte Maßnahmen wie Polizeipräsenz oder strengere Strafen vor. In der „Virus-Gruppe“ hingegen wurde häufiger über Ursachen wie Armut und Bildung diskutiert. Metaphern verändern Denkräume – und Entscheidungen.

Sprache im Führungsalltag – mehr als Worte

Auch in der Unternehmens- und Führungspraxis begegnet mir diese Macht der Worte fast täglich. Ein Personalleiter sagte mir neulich: „Wir reden nicht mehr von Personalkosten. Wir nennen es Mitarbeitereinkommen.“ Ein kleiner sprachlicher Dreh – mit großer Wirkung. Während Kosten nach Belastung und Verzicht klingen, weckt Einkommen Assoziationen von Wertschätzung, Beteiligung und Leistung.

In einem Krankenhaus, das ich begleite, wurden aus dem Begriff Fehlzeitenmanagement unterstützende Gesundheitsdialoge. Damit änderte sich nicht nur der Ton, sondern auch die Haltung: Von Kontrolle hin zu Fürsorge. Mitarbeitende kamen plötzlich freiwillig ins Gespräch, fühlten sich gesehen statt geprüft.

In einem anderen Unternehmen wurde die Bilanzbesprechung nicht mehr „Jahresabschluss“, sondern „Entwicklungsspiegel“ genannt. Die Führungskraft begründete es so: „Ich möchte, dass meine Mitarbeitenden verstehen, dass Zahlen eine Geschichte erzählen. Und dass sie Teil dieser Geschichte sind.“

Solche sprachlichen Mini-Interventionen sind kraftvolle Werkzeuge, um Kultur zu gestalten – mit der Haltung beginnt es, mit den Worten wird sie hörbar.

Sprachgestaltung in der Führungspraxis – Worte als Kulturträger

Sprache transportiert Haltung – immer. Deshalb lohnt es sich, gerade im Führungsalltag bewusst hinzuschauen, wie über Menschen, Arbeit und Herausforderungen gesprochen wird.

  • Worte als Kulturträger: Die verwendete Sprache spiegelt die Kultur einer Organisation – und gestaltet sie zugleich mit. Begriffe wie „Abschaffung von Personalgesprächen“ vs. „Einführung von Entwicklungsgesprächen“ zeigen deutlich, ob Kontrolle oder Entwicklung im Zentrum steht.

  • Symbolische Führung durch Wortwahl: Wer als Führungskraft sagt: „Wir stehen vor einer Herausforderung“ statt „Wir haben ein Problem“, setzt einen anderen inneren Rahmen. Er lädt zur Lösungsorientierung ein, statt zur Problemvermeidung.

  • Sprache der Sinnorientierung: Besonders kraftvoll ist Sprache, wenn sie Sinn und Beitrag in den Mittelpunkt rückt. Statt „Bitte erledigen Sie die Dokumentationspflicht“ wirkt ein Satz wie: „Ihre Dokumentation hilft, dass unsere Patienten schneller gesunden und sicher versorgt sind“ ganz anders – motivierend, verbindend, wirksam.

Diese kleinen Verschiebungen in der Sprache öffnen große Räume im Denken. So kann es gut sein, zukünftig von „Genesungszeit“ statt vom „Krankenstand“ oder von „Resilienzgrenze“ statt „Überlastungsanzeigen“ zu sprechen.

Positive Psychologie: Sprache als Spiegel der inneren Haltung

Die Positive Psychologie lehrt uns: Worte sind nicht neutral. Sie aktivieren Emotionen, sie öffnen oder schließen, sie verbinden oder trennen. Und sie wirken nicht nur auf andere, sondern auch auf uns selbst.

Wenn ich mir morgens sage: „Ich darf heute ein Team begleiten“ – dann gehe ich mit einer ganz anderen Haltung in den Tag, als wenn ich denke: „Ich muss heute noch ein Seminar halten.“ Sprache ist nicht nur Kommunikation – sie ist Innenarchitektur unserer Gedanken.

Studien zeigen: Positive Sprache (durch Positivity Resonance) kann emotionale Verbundenheit erzeugen, Teamkohärenz steigern und langfristig Wohlbefinden erhöhen.

In Teammeetings lohnt es sich, genau hinzuhören:

  • Sprechen wir über eine offene Stelle – oder über eine zukünftige Rolle, für die wir die passende Persönlichkeit suchen, die unser Team bereichert?
  • Geht es im Gespräch um das Abarbeiten von Vorgaben – oder um das gemeinsame Gestalten eines sinnvollen Beitrags zur Organisation?
  • Sprechen wir über Schwächen – oder über noch nicht erkannte und genutzte Stärken von Mitarbeitenden?
  • Sprechen wir von Personalführung – oder von Menschenführung?

Der Unterschied mag semantisch klein sein – psychologisch ist er enorm.

Metaphern öffnen neue Räume

Ich erinnere mich noch an ein Controlling-Team, welches von sich immer als den „Datenhaien“ sprach, die regelmäßig Zahlen „jagen“. Kein Wunder, dass andere Abteilungen sich wenig wohlfühlten, wenn die Controllerinnen und Controller zu Terminen baten. Wir haben gemeinsam nach neuen Bildern gesucht – und landeten schließlich bei der Idee der „Tour-Guides mit Orientierungskompass“. Plötzlich ging es nicht mehr um Jagd, sondern um gemeinsame Navigation, Kurskorrekturen und Ausblick.

Eine HR-Leiterin wiederum sprach in Mitarbeitergesprächen bewusst von einem „Wachstumsfenster“, wenn es um Feedback ging. Sie meinte damit: ein Raum, in dem sich Entwicklung zeigen und entfalten darf – jenseits von Fehlerfokus und Defizitbrille.

Führung beginnt im Wort

Führungskräfte sind Sprachvorbilder. Ihre Worte prägen die Atmosphäre eines Teams – und den inneren Dialog der Mitarbeitenden. Wenn wir als Führungskräfte achtsam sprechen, können wir Mut machen, Klarheit schaffen und Verbundenheit stärken.

Es beginnt im Kleinen:

  • „Danke für deine Initiative heute.“
  • „Was braucht es, damit du dich sicher fühlst?“
  • „Was lernen wir gerade gemeinsam?“

Das ist keine Schönfärberei. Das ist mentale Kulturarbeit.

Als kleine Starthilfe habe ich dir hier eine erste Liste von 50 positiven Worten für deinen Führungsalltag zusammengestellt:

achtsam, anerkennend, aufmerksam, authentisch, begeisternd, behutsam, belebend, bewegend, bewusst, dankbar, einfühlsam, einladend, ermutigend, engagiert, entspannt, fair, fokussiert, freudvoll, freundlich, förderlich, gemeinsam, großzügig, herzlich, hilfreich, humorvoll, ideenreich, inspiriert, klar, konstruktiv, kooperativ, kraftvoll, lösungsorientiert, liebevoll, mutig, nachhaltig, neugierig, offen, optimistisch, präsent, respektvoll, ruhig, sinnvoll, souverän, stärkend, transparent, unterstützend, verbindend, vertrauensvoll, wertschätzend, zugewandt

Sprache entscheidet, wie wir fühlen, denken und handeln

Ich merke immer wieder: Wer Sprache bewusst einsetzt, gestaltet mehr als nur Sätze. Er gestaltet Wirklichkeit, Haltung, Beziehung. Und oft ist ein einziges Wort der Türöffner zu einer ganz neuen Denkweise.

Deshalb meine Einladung: Höre dir selbst beim Sprechen zu. Frage dich: Was sage ich – und wie klinge ich?

Worte sind nicht neutral. Und wir können sie wählen.