Wenn Ziele und Kennzahlen zu absurden Verhaltensweisen führen

Führung2Ziele und Kennzahlen gelten als Goldstandard moderner Unternehmensführung. Sie versprechen Transparenz, Vergleichbarkeit und Steuerbarkeit. Doch nicht selten führen sie genau dort, wo sie für Orientierung sorgen sollen, zu absurdem oder gar kontraproduktivem Verhalten. Und das nicht nur im Einzelfall – sondern systematisch.

Wenn die Zahl wichtiger wird als der Sinn

Immer wieder höre ich in Coachings oder Führungskräftetrainings von Geschichten, die zum Kopfschütteln oder Schmunzeln verleiten – wären sie nicht so ernst.

  • Außendienstmitarbeiter, die kurz vor Monatsende „noch schnell ein paar Besuche organisieren“, um die Besuchsquote zu erfüllen – ungeachtet des tatsächlichen Kundennutzens.

  • Kfz-Mechaniker, deren Leistung am Umsatz gemessen wird – und die dann „großzügig“ reparieren.

  • Ein Werksleiter, der Lagerkosten senken soll – und kurzerhand einen Lkw mit Lagerware durch die Gegend fährt, damit das Material während der offiziellen Inventur als „nicht vorhanden“ gilt.

Diese Beispiele sind keine Ausnahmen, sondern Symptome eines tieferliegenden Problems: Wenn Menschen sich primär an Zahlen orientieren müssen, aber die Realität komplexer ist als jede Excel-Tabelle, entstehen kreative Ausweichmanöver.

Warum tricksen Menschen?

Solches Verhalten ist oft kein Ausdruck von Unfähigkeit oder mangelnder Moral – sondern schlicht Ausdruck systemischer Widersprüche.

Menschen stehen im Unternehmen immer wieder zwischen verschiedenen Interessen:

  • den formalen Zielvorgaben des Managements, die mit Boni, Lob oder Karrierechancen verknüpft sind,

  • den informellen Spielregeln, die oft aus Erfahrungen, impliziten Erwartungen oder der Unternehmenskultur stammen („Hab immer genug auf Lager, man weiß ja nie“),

  • und den eigenen Werten, Einschätzungen und Bedürfnissen („Diese Zielvorgabe ist schlicht nicht realistisch“).

GegeneinanderJe größer die Spannung zwischen diesen Polen, desto eher kommt es zu sogenannten „Fehlsteuerungen“. In Wahrheit handelt es sich jedoch meist um systemlogisches Verhalten unter widersprüchlichen Bedingungen.

Was können Sie als Führungskraft tun?

Statt auf Regelverschärfungen oder Kontrolle zu setzen, lohnt sich ein Perspektivwechsel: Weg vom Symptom, hin zum System.

1. Motive verstehen

Führen Sie ehrliche Gespräche. Fragen Sie Ihre Mitarbeitenden:

Was hat Sie zu diesem Vorgehen veranlasst?
Sie werden erstaunt sein, wie nachvollziehbar die Motive oft sind.

2. Widersprüche offenlegen

Nutzen Sie Methoden wie eine Kraftfeldanalyse oder Stakeholderanalyse, um sichtbar zu machen:

  • Welche Interessen wirken auf die Mitarbeitenden ein?

  • Welche Zielkonflikte bestehen?

  • Welche impliziten Spielregeln dominieren?

3. Systemkräfte reflektieren

Fragen Sie gemeinsam:

  • Wer fordert was – und mit welchem Einfluss?

  • Welche Verhaltensweisen werden belohnt – sichtbar oder unsichtbar?

  • Was hemmt sinnvolles Verhalten?

4. Neue Spielregeln verhandeln

Nur wenn alle relevanten Stimmen gehört und Spannungsfelder geklärt sind, können tragfähige, gemeinsam akzeptierte Lösungen entstehen. Achten Sie darauf, dass auch informelle Erwartungen benannt und mitgedacht werden.

5. Sinn stiften, nicht nur steuern

Nutzen Sie Kennzahlen zur Orientierung – nicht zur blinden Steuerung. Erklären Sie den Sinn hinter Zielen. Machen Sie Raum für Dialog. Und setzen Sie auf Beziehung statt nur auf Bericht.

Kennzahlen brauchen Kontext – und Kommunikation

Kommunikation1Die meisten Menschen wollen gute Arbeit leisten. Doch wenn Zielsysteme widersprüchlich sind, entsteht ein Dilemma: Soll ich das „Richtige“ tun – oder das „Erwartete“?

Die Lösung liegt nicht in noch mehr Kontrolle, sondern in der Fähigkeit von Führungskräften, systemische Spannungen zu erkennen, sie zu benennen und gemeinsam mit dem Team Wege zu finden, mit ihnen umzugehen.

Wenn Sie merken, dass Zahlen zu absurdem Verhalten führen, stellen Sie sich nicht gegen Ihre Mitarbeitenden. Fragen Sie sich lieber:

Für wen funktioniert das gerade – und warum?

Erst wenn Sie die Logik hinter dem scheinbaren „Fehlverhalten“ verstehen, können Sie nachhaltige Veränderungen anstoßen. Und vielleicht wird so aus trickreicher Zahlenerfüllung wieder echte, sinnvolle Leistung.